Biographie Alfred Adlers

Geburt: am 07.02.1870 in Penzing bei Wien, Österreich

Studium:1888-1895 Studium Medizin in Wien

Tätigkeit: Chirurgie und Psychiatrie, Augenheilkunde

Weiterbildung:Psychologie, Pädagogik, Philosophie, Mitglied in Freuds "Mittwochsrunde"

Familie: Ehefrau Raissa, vier Kinder:Valentine (1998),Alexandra (1901),Kurt (1905),Cornelia (1909).

Lehrtätigkeit: Pädagogikum in Wien, später Long Island College,NY. Trennung von Freud und Gründung des Verein der Individualpsychologie 1911,  Lehrberatungen in Wien.

Praxis: in der Dominikanerbastei 10, in Wien.

Kongresse: Weltbund der Erneuerung der Erziehung "New Education Fellowship" in Europa seit 1921.

Reise: in die USA 1926, wichtigstes Buch: Der Sinn des Lebens 1933

Flucht: nach New York, USA 1935

Tod: am 28.05.1937 in Aberdeen, Schottland

 

Adlers Grundannahmen der Individualpsychologie

Die Theorien Alfred Adlers stehen im engen Zusammenhang mit der Pädagogik Maria Montessoris. Adler erweiterte seine tiefenpsychologischen Grundlagen auf die Möglichkeiten Eltern, ErzieherInnen und Lehrer zu beraten, um sowohl dem Kind, als auch den Eltern oder Lehrer zu helfen, die Situation des Kindes, seine Gefühle und Beweggründe für sein Verhalten und Handeln zu verstehen und lösungsorientiert verändern zu können.

Maria Montessori traf Alfred Adler!

Maria Montessori (1870-1952) und der Begründer der Individualpsychologie Alfred Adler (1870-1937) haben als Ärzte aus den Bedingungen der seelischen Fehlentwicklung des Kindes Grundsätze für die psychische Prophylaxe abgeleitet.

Während gemeinsamer Tagungen des "Weltbundes für Erneuerung der Erziehung" (New Education Fellowship), internationaler Konferenzen die seit 1921 alle zwei Jahre in verschiedenen Ländern abgehalten wurden, erarbeiteten sie gemeinsame Konsequenzen für die Erziehung. Kontakte miteinander ergaben sich auch in Wien, wo Montessori in den Jahren 1920-1930 Schulen nach ihrer Methode einrichten ließ und Adler seine Beratungskonzepte für Lehrer und Eltern initiierte. Hier hatte Montessori Einblicke in Adlers individualpsychologisch-pädagogischer Arbeit mit Kindern, die sich auffällig zeigten, was sich in ihrem Buch "Kinder sind anders" (Montessori 1996) auch thematisch niederschlägt.

Vor diesem Hintergrund erklären sich auch Montessoris frühen Erkenntnisse, dass die LehrerIn das Studium der eigenen Person vollziehen muss, will sie der Aufgabe nach kommen, das Kind in seinen Absichtshandlungen zu verstehen. Auch die Treffen mit Anna Freud, die in Wien Montessoris Kinderhaus besuchte, hatten diese Thematik.

Die Forderung Montessoris nach Selbsterkenntnis basiert auf Adlers Grundannahmen der Individualpsychologie die davon aus geht, dass der Lebensstil eines Menschen als unbewusst wirkendes Ordnungsmuster der Wahrnehmung, unsere individuelle Art und Weise Beziehungen zu gestalten und der Lebensbewegung positiv zu entsprechen, beeinflusst (Ansbacher/Ansbacher 1982).

Der Lebensstil

Das Kind wird in die Gemeinschaft von Menschen "hineingeboren" und erlebt sich und seine Welt ganzheitlich im Gemeinsam-sein mit anderen. In seiner Angewiesenheit auf Fürsorge benötigt das Kind soziale Bezüge. Darüber hinaus ist nach individualpsychologischem Verständnis jedem Menschen das Bestreben nach Zugehörigkeit zur Gemeinschaft latent angeboren. Alfred Adler spricht hier vom Streben nach Gemeinschaft, dessen Ideal das Gemeinschaftsgefühl ist.

Die Welt zeigt sich dem neugeborenen Kind jedoch zunächst so, dass es sich in seiner Angewiesenheit unsicher fühlt. Es spürt, dass es sich fortentwickeln muss, um in der Welt derer, die schon alles können, einen eigenständigen, nicht auf Sorge angewiesenen, Platz einnehmen zu können. Nach Adler ist es dem Kind ein Bedürfnis, die Minderwertigkeit zu überwinden, Bedeutsamkeit für andere Menschen und Sicherheit der eigenen Person zu erleben. Minderwertigkeit beschreibt in diesem Zusammenhang nicht die tatsächliche Wertigkeit des Kindes. Adler umschreibt mit diesem Begriff das Empfinden des Kindes, sich wachsend entwickeln zu wollen, mit dem Ziel, sich die umgebende Welt zu erschließen und in ihr selbständig den eigenen Bedürfnissen entsprechend bewegen zu können.

Das Kind deutet die Erfahrungen jedoch mittels seiner schöpferischen Kraft je nach Ausformung verschieden und das macht die Eigenart eines jeden Menschen aus (Adler 1994). Das Kind formt den individuellen Stil nach einem Deutungsmuster das eine sicherheitsstiftende Funktion hat. Diesem Muster entsprechend wird es sich im folgenden durch die Welt bewegen, handeln und zu Erfahrenem Stellung beziehen. Jede Handlungsweise ist nach der Auffassung der Individualpsychologie für den einzelnen auf dem Hintergrund seines Lebensstils sinnvoll und final auf die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft gerichtet. Die Bildung des Lebensstils ist somit kein bewußt gesteuerter Prozess, sondern ein vom Kind durch ganzheitliche Wahrnehmung und Erfahrung in früher Kindheit angeeignetes logisches Bewegungskonzept.

Die Bedeutung der mitmenschlichen Beziehungen

Aus individualpsychologischer Sicht ist in bezug auf das Miteinandersein in der gemeinsamen Welt das Gemeinschaftsgefühl von tragender Bedeutung. Die Mitmenschlichkeit ist die Grundstruktur der menschlichen Existenz.

Adlers Grundannahme, dass dem Menschen die Entwicklung des Gemeinschaftsgefühls von Geburt an potentiell möglich ist und im Lebensstil des Menschen zur entwickelten Fähigkeit gefördert werden kann, begründet er mit der ersten Äußerung des Zärtlichkeitsbedürfnisses des Säuglings, der die Zuwendung der Mutter mit einem ersten Lächeln beantwortet. Für Adler ist das Zärtlichkeitsbedürfnis des Kindes vor allem Ausdruck der sozialen Natur des Menschen, und die Erfüllung steht im engen Zusammenhang mit sozialem Lernen und der Ausführung aller sozialen Aufgaben. Hierbei ist, wie die Individualpsychologin Irène Kummer feststellt, das Kind sehr wesentlich am Austausch von Zärtlichkeiten in der Weise beteiligt, dass es nicht nur Zärtlichkeit empfangen, sondern sie auch explizit geben möchte. Für die Entwicklung des Gemeinschaftsgefühls ist demnach die zärtliche Zuwendung zum Kind grundlegend. In welcher Weise das Zusammenleben eines Menschen mit anderen bewältigt wird, ist an das Maß der Entwicklung des Gemeinschaftsgefühls gebunden.

Die Annahme Kummers weist auf einen wesentlichen Aspekt hin, der für LehrerInnen und ErzieherInnen in der Montessori-Pädagogik zum Tragen kommt. Es ist die Feststellung, dass unabhängig von dem Alter, der sozialen Stellung seiner Familie und den Fähigkeiten des Kindes, es in erster Linie ein Mitmensch ist, der sich mit seinem absorbierenden Geist nur in Beziehung zur Welt entfalten kann (Montessori 1972, S.263).

Das bedeutet eine Gleichsetzung der Wertigkeit des Kindes mit dem Erwachsenen in der Beziehung! Gleichwertigkeit ist deutlich abzugrenzen von Gleichheit und Gleichartigkeit, denn jeder Mensch ist auf seine je eigene Weise in der Welt. Gleichwertigkeit beinhaltet, dass der Mitmensch 'anders' ist, nicht aber höher- oder minderbemittelt, nicht über- oder minderwertig (Antoch 1989).

Im Zusammenhang mit dem Gemeinschaftsgefühl spricht Adler von drei Lebensaufgaben des Menschen: 1. Kooperation mit anderen Mitmenschen, 2. Tätigkeit im Beruf, 3. Umgang mit Liebe, Erotik und Sexualität, sowie mindestens einmal auch von der Stellung zu Kunst und schöpferischer Gestaltung, die sich auf die Gemeinschaft und das gesellschaftliche Leben richten (Antoch 1995).

Für die erste Aufgabe steht die Funktion des Mütterlichen Menschen (Tymister 1990), das Kind als einen Mitmenschen anzunehmen, zur Entwicklung des Gemeinschaftsgefühls zu ermutigen und die Öffnung zu anderen Menschen, zunächst dem Vater, zu ermöglichen. Aus der Tatsache, dass der Mensch ein nach Vollkommenheit strebendes Wesen ist, das sich nach dem Verlassen des Mutterleibes mit der Welt in Einheit verbunden sieht, leitet Adler die Notwendigkeit eines gut entwickelten Zugehörigkeitsgefühls für einen positiven Bezug zur Gemeinschaft ab (Adler 1991). Wie Montessori so ist auch Adler der Ansicht, dass durch tätige anerkannte Mitarbeit die Entwicklung des Gemeinschaftsgefühls beim Kind als ein guter Mitarbeiter, gefördert wird.

Das Kind erfährt im Bei-der-Mutter-sein, dem mütterlichen Menschen, dass dieser sich ihm zuwendet, ihn versteht und seine geistigen Bedürfnisse befriedigt, indem er Dinge und andere Menschen in seine nähere Umgebung bringt. Diese ersten Erfahrungen des Kindes geben ihm in seinem Angewiesen-sein auf die Welt ein Zugehörigkeitsgefühl, mit dessen Hilfe sich das Kind auf die Welt bezieht. Somit haben die ersten Mitmenschen des Kindes eine besondere Bedeutsamkeit. Es sind meist die Familienmitglieder des Kindes, später die Erzieherinnen und Nachbarn, die für das Kind den ersten sozialen Mutterschoß darstellen.

Die Fürsorge

Adler bezeichnet das Gemeinschaftsgefühl als eine absichtliche Angleichung an den anderen Menschen, dem die ganze Bedeutung des Verstehens zukommt und das sich in günstigen Fällen nicht nur auf Familienmitglieder, sondern auch auf das Volk, auf die ganze Menschheit erstreckt (Adler 1991). Die Angleichung des Menschen als Mitmensch verweist auch darauf, für die anderen mit da zu sein, was sich besonders bei Menschen in sozialen Berufen auswirkt. Besonders in der Arbeit mit kleinen Kindern werden die Weisen der Fürsorge sichtbar. Am Beispiel einer Lehrerin im Montessori-Kinderhaus umfasst das Miteinandersein alle täglichen Besorgungen, die Arbeit im Gruppenraum, das Einnehmen der Mahlzeiten, die Arbeit im Garten u. s. f. Die Kinder sind im unterschiedlichen Alter von ein bis sechs Jahren und entsprechend ihrer selbständigen Entwicklung auf ganz unterschiedliche Hilfen 'angewiesen''. Das meiste können sie "selbst" erlernen oder unter Mithilfe der anderen Kinder bewerkstelligen.

Überfürsorge

Adler warnt vor allzu großer Fürsorge ( Verwöhnung oder Verzärtelung ) dem Kind gegenüber, da die Mitarbeit des Kindes ein Impuls ist, der von dem Erwachsenen beim Kind unbemerkt unterdrückt werden kann und sein Zugehörigkeitsgefühl zur Gemeinschaft aus diesem Grund vermindert. Denn die Fürsorge eines Erwachsenen kann sich in einer Weise ereignen, in der er dem Kind das zu Besorgende "abnimmt", dem Kind sozusagen die Möglichkeit wegnimmt für sich selbst sorgen zu können. Der Erwachsene setzt sich an die Stelle des Kindes und nimmt ihm sein Handeln ab. Auch wenn das Kind diese Haltung des Erwachsenen stillschweigend hinnimmt und es nicht ausdrücklich als eine über sich hinweg bestimmende Haltung wahrgenommen wird, so wird es dennoch vom Wunsch des Erwachsenen beherrscht. Der Erwachsene der in dieser Weise fürsorglich handelt, versteht das Kind nicht von ihm selbst her, sondern er versteht es aus dem heraus, was das Kind tun soll. Dabei wird dem "was zu tun ist" einen Vortritt gegeben, die Sache die nach dem Ermessen des Erwachsenen zu tun ist hat Vorrang vor dem Kind! Der Beitrag des Kindes, sein Beitrag zur Gemeinschaft bleibt im Hintergrund (Adler 1994). Das Kind fühlt sich bei dieser Behandlung nicht ernst genommen, nicht verstanden.

Verstehen des Kindes

Nach Adler ist das Verstehen ein Akt der Identifizierung. Wenn wir ganz bei dem Kind sind und uns mit ihm eins fühlen können, dann verstehen wir was es braucht, empfindet oder stört: Wenn wir

  • Mit den Augen des Kindes sehen
  • Mit den Ohren des Kindes hören und
  • Mit dem Herzen des Kindes fühlen

verstehen wir das Kind.

Nach individualpsychologischen Erkenntnissen ist der erwachsene Mitmensch dem Kind in einer Weise voraus, in der er aufgrund seiner Erfahrungsvorsprünge im Handlungszusammenhang "weiß was kommt". Er ist mit seinen Fähigkeiten dem Kind über-legen und kann es nun freilassen damit es seine eigenen Fähigkeiten, sein Vermögen an Handlungsspielraum erweitern kann. Auf diese Weise "lassen" die Erwachsenen das Kind "zu sich selbst kommen". Die Grundlage für dieses "Lassen" des Erwachsenen ist ein "Loslassen" seiner eigenen Aktivität (vgl. Tymister 1996, Kummer 1995 und von Glasenapp 1997).

Es wird vom Erwachsenen, wie es der Philosoph Hanspeter Padrutt (1990) nachhaltig schilderte, eine "zuvorkommende Zurückhaltung" eingenommen:

  • Zuvorkommend im Sinne von taktvollem, liebenswürdigem Entgegenkommen, indem das Kind Raum erhält zu Selbsttätigkeit und Erfahrung für die Erkenntnis, was sein Handeln enthüllen wird.
  • Und die bescheidene Haltung der Nichteinmischung, des Wartens und des gedanklichen, geduldigen Zurückgehens mit dem Kind an das Wiederauffinden der Aufgabenstellung als Sinn an sich. Dieses Zurücknehmen ist (wie auch bei Montessori ) eine Voraussetzung das Kind richtig zu beobachten und seine Intentionen zu verstehen. Die Zusammenhänge des spontanen Handelns des Kindes und seiner Absichten werden jedoch nicht sofort sichtbar. Erst nach verschiedenen, wiederholten Situationen, nach Schritten von Bewegung und darauffolgender Stille, wird dieser Prozess der Erkenntnis als Ziel deutlicher und verstehbar.

monaddrei

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